Das Holsteiner Pferd
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht die Holsteiner Pferdezucht in höchster Blüte. Pferde mit dem Holsteiner Brand brillieren auf den großen Turnierplätzen der Welt, die Holsteiner Gene durchdringen alle heute erfolgreichen Springpferdezuchten. Das ist das Ergebnis einer seit Jahrhunderten konsequent betriebenen Zuchtarbeit im Land zwischen den Meeren, von Züchtern mit Fingerspitzengefühl, Weitblick, Beharrlichkeit und Treue zu den Mutterstämmen auch in schweren Zeiten. Im Laufe der Geschichte hat sich der Holsteiner immer wieder neuen Anforderungen gestellt, als Staatsross an den europäischen Königshöfen, als Kriegspferd, als Luxuskarrossier, vor allem aber als Helfer in der Landwirtschaft und heute schließlich als Sportpferd, besonders in der Disziplin Springen. Dabei hat der Holsteiner häufig sein Gewand gewechselt, aber nie sein Gesicht verloren – kaum eine Reitpferderasse ist bis heute ihrem Typ so treu geblieben wieder der Holsteiner, dessen äußere Erscheinung und innere Werte durch das harte Leben auf den windumtosten Marschweiden und durch die tägliche Leistungsprüfung auf den Höfen geprägt wurden.
Die Holsteiner Pferdezucht ist das nördlichste deutsche Zuchtbuch. Das eigentliche Hochzuchtgebiet liegt an der Küste der Nordsee, ca 100 Kilometer nördlich von Hamburg. Jedoch erstreckt sich der Einflußbereich über das ganze Bundesland Schleswig-Holstein und den Stadtstaat Hamburg. Der Holsteiner ist ein großliniges Pferd. Auf dem kräftigen Hals sitzt ein ausdrucksvoller Kopf. Auch die Schultern und die Brust sind kräftig. Der Widerrist ist ausgeprägt, der Rumpf kompakt und gut gewölbt. Weitere rassetypischen Merkmale sind ein mittellanger Rücken, schlanke, harte Beine mit kurzen Röhren.
Der typische Holsteiner ist ein athletisches, großliniges und ausdrucksvolles Reitpferd mit idealen Anlagen für den Springsport, aber auch für die Dressur und die Vielseitigkeit. Er besitzt ein überdurchschnittliches Springvermögen. Ein Holsteiner ist unkompliziert, einsatzfreudig, nervenstark und zuverlässig. Dabei ist sein ausgeglichenes Temperament und sein hervorragender Charakter von großer Bedeutung. Das Holsteiner Sportpferd besitzt ein ausgezeichnetes Springvermögen, hat einen langen Schritt, einen raumgreifenden Trab und einen schwungvollen Galopp.
Die 50iger Jahre kannten in Bezug auf die Hengstaufstellung noch kein einheitliches Rezept. Man findet Trakehner und andere Anglo-Araber neben Vollblütern, sowohl englischen als auch einigen arabischen, und Hannoveranern. Eine radikale Einschränkung der Ankörungen rettete auch diesesmal wieder die Rasse. Einzig der engl. Vollblüter wurde, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, zur Veredlung eingesetzt. Unter diesem Einfluß veränderte sich das Modell des Holsteiners und eine drakonische Selektion erhielt gleichzeitig den Charakter. Das Modell wurde erheblich leichter, der Rahmen kleiner, der Kopf edler ; der Rücken verlängerte sich und der Widerriß trat deutlicher hervor. Die Pferde wurden spritziger, eleganter und zeigten auch mehr “ Biß „. Der Erfolg dieser Umzüchtung beruht auf einigen ganz besonders guten Hengsten, aber auch, wenn auch bedeutend weniger, auf der Vielzahl der benutzten Vollblüter. Gemeinsamer Punkt fast aller aufgestellten Vollblutbeschäler ist die Abstammung, die meist auf die für die Holsteiner Zucht wichtigen Vollblüter Dark Ronald und seinen Sohn Son in Law zurückgeht.
Die Umzüchtung erwies sich als lebensnotwendig, da die Stutenbasis des Holsteiners von ehemals fast 10.000 auf knapp 1.200 zu Beginn der 60iger Jahre gefallen war. Dieser massive Vollbluteinsatz mit letztendlich positivem Resultat, einzigartig in der Geschichte der deutschen Pferdezucht, brachte der Holsteiner Zuchtleitung, die 1960 verbandlich organisiert wurde, harsche Kritiken ein, da er Hand in Hand mit dem Zuchtausschluß allen Fremdblutes ging, wohingegen die anderen Zuchtgebiete, die unter ähnlichen Bedingungen arbeiteten, sich dem Hannoveraner zuwandten, wie es in Oldenburg der Fall war, oder durch den Einsatz des Arabers vollkommen untergingen, wie es dem ostfriesischen Warmblut passierte.
Die bedeutenden Hengste dieser Epoche waren allen voran Anblick xx, dem ersten Vollblut, dem die Züchter vertrauten, aber auch Cottage Son xx, Wüstensohn xx, Wanderfalk xx und Waldenser xx, als auch der Anglo-Araber Ramzes AA.
Die 60iger Jahre leiteten dann teilweise schon die Konsolidierung des Typs ein, da einige gute Hengste mit den schon veredelten Stuten die Leistungsvererber brachten, die das Ende des ganzen 20. Jahrhunderts beeinflußen sollten. Aber immer noch gab es viele Stuten, die ganz hervorragend zu leicht vererbenden Hengsten paßten. Und die Zuchtleitung tat einige glückliche Griffe mit dem Ankauf von Marlon xx und Ladykiller xx. Diese beiden Spitzenvererber beinflußen auch heute noch das Zuchtgeschehen. Marlon paßte dabei zu den schweren Stuten, Ladykiller brachte seine besten Produkte mit schon veredelten Stuten. Weitere gute Hengste waren Frivol xx, Korenbleem xx, Manometer xx, Nautilus xx und Sable Skinflint xx.
Die Aufstellung 1971 des Anglonormannen Cor de la Bryere verdeutlicht die Konsolidierungsphase. Dieser Rantzausohn war die erste große und erfolgreiche Ausnahme im Zuchtkonzept des Holsteiners. Er führt selbst noch sehr viel Blut, harmonisiert jedoch bestens mit schon edleren Stuten und verfestigt den neuen Typ. Cor de la Bryere beherrscht zusammen mit Ladykiller ( 1979) und Marlon ( 1981) die Zuchtszene der 70iger und 80iger Jahre, wobei Ladykiller xx schon von seinen Söhnen, allen voran Landgraf I und Lord unterstützt wird.
Die Stammhengste der Holsteiner Pferdezucht
Ramzes AA war ein polnischer Anglo-Araber mit 50% Araberblut. Er kann auf erfolgreiche Verwandte hinweisen, da das erfolgreichste poln. Springpferd vor dem 2. Weltkrieg zu seiner Familie gehört. Ramzes, zweimal für jeweils eine Decksaison angepachtet, zeichnet sich in Holstein durch seine Springvererbung aus. In der Zucht selbst schlug er nicht stark ein, da er am besten mit schon edlen Stuten harmonisierte, wie das Beispiel seines Enkels Ramiro zeigt, und diese zu seiner Zeit noch sehr selten waren. Seine Hengstlinie besteht nur noch über Ramiro, welcher jedoch eine überragende Bedeutung für die ganze europ. Zucht spielt. Bei ihm ist der anglo-arabische Einfluß schon stark zu Gunsten des Vollblutes geschwächt, was schon rein äußerlich durch die Farbe dokumentiert wird : Ramzes AA war, genau wie Ramiro’s Vater Raimond, ein Schimmelhengst. Cottage Son xx, Ramiro’s 2. Großvater war schwarzbraun, genau wie Ramiro selbst.
Anblick xx, angekört 1954 nach zehnjährigem erfolglosem Wirken im Hannoveraner, sollte der erste erfolgreiche Vollbluthengst der Holsteiner werden. Jedoch wurden auch ihm zuerst nur die 2. und gar 3. Garnitur zugeführt, die besten Stuten kamen zu bewährten Holsteiner Hengsten. Aber selbst mit diesen nur durchschnittlichen Stuten brachte Anblick hervorragende Pferde, die den neuen gewünschten Typ verkörperten. So kann man von Erfolg also erst gegen Ende der 50iger Jahre reden.
Sein bester Sohn ist Aldato, der großen Einfluß hatte und heute noch über seinen Enkel Landgraf wirkt. Sowohl Aldato als auch Anblick xx vererbten mehr auf der Dressurebene, verdrängen jedoch nicht die Springanlage.
Das Beispiel Anblicks verdeutlicht die Einwirkungen der ersten Vollblüter : selbst wenn sie keine große Hengstlinie gründen konnten, so ist ihr Blut jedoch fest in den Stutenstämmen verankert.
Cottage Son xx war ein schwarzbrauner Vollbluthengst, der auf Grund der Erfolge der Vollblüter in Holstein angekauft wurde. Er war schon kein unbeschriebenes Blatt mehr, da mehrere seiner engl. Nachkommen in internationalen Vielseitigkeitsprüfungen gingen.
Für Holstein wurden die 4 Deckzeiten, die er bis zu seinem Tod 1963, noch hier absolvierte zu den wichtigsten überhaupt. Cottage Son paßte nicht nur sehr gut zu den Holsteiner Stuten, er bereitete gleichzeitig die Grundlage für Cor de la Bryere, für welchen er die beste Anpaarung darstellt.
Seine Hengstlinie hat durch Capitol I eine ungeahnte Ausdehnung erfahren und zählte heute zu den etablierten.
Allgemeingesehen ist Cottage Son sehr gut in den Stutenstämmen verankert und sein Erbgut kommt hier am besten zum Tragen, wenn er in der 3. oder 4. Generation steht.
Für die Ankörung Manometer’s xx war sicherlich mitbestimmend, daß sein Vater, Abendfrieden xx, ein Vollbruder zu Anblick war und schon ein anderer Sohn seines Vaters recht guten Erfolg in der Zucht hatte, jedoch schon nach einem Jahr ausschied, Gauner xx. Über die Holsteiner hinaus hat Abendfrieden gute Hengste auch für den Hannoveraner und dessen Nachzuchtgebiete gebracht, wobei besonders Perser und Pik As zu nennen sind.
Trotz starker Exterieurmängel besitzen seine Nachkommen eine gute Springanlage. Im Laufe der Jahre konnten sich jedoch Nachkommen als Dressurhengste und -vererber profilieren.
Seine Stärke liegt in der Vererbung über seine weiblichen Nachkommen. Besonders gefragt sind Stuten seiner Söhne und Enkel, an welche er seine Muttervaterqualitäten weitergegeben hat. Seine Hengstlinie ist nur noch über die Nachkommen seines Enkels Moltke vertreten. Sie zählt zu den kleinen Linien innerhalb der Holsteiner Zucht.
Marlon xx war ein irischer Vollbluthengst, der sehr gut zu den schweren Stuten paßte, welche er veredelte und auch den nötigen Schnitt mitgab. Mit edleren Stuten wurden seine Nachkommen zu klein und leicht. Sein Vererbungsschwerpunkt liegt ganz eindeutig in der Dressur, aber auch sein Springvererbung ist überdurchschnittlich. Leider konnte keiner seiner Söhne sich bisher in der Zucht hervortun und sein Linie scheint im Aussterben zu sein. Marlontöchter sind vorzügliche Zuchtstuten und laßen sich mit fast allen Hengsten anpaaren, wenn Warmblüter auch besser zu ihnen paßen als Vollblüter ; die Marlontöchter sind oft etwas ‘zickig’, aber über sie wird Marlon noch jahrelang Einfluß ausüben, auch wenn seine Söhne schon von der Zuchtszene verschwunden sind.
Marlon xx war der beste Dressurvererber, den die deutschen Zuchten jemals aufgestellt hatten und verweist sogar Cardinal xx aus der Hannoveranerzucht auf den 2. Platz.
Von seiner Bedeutung her ist Ladykiller xx das Vollblut mit der größten Bedeutung. Unter seinen vielen guten Söhnen fallen natürlich besonders Landgraf I und Lord auf, die zu den Starvererbern des Züchterverbandes gehören. Beide stammen aus schon veredelten Stuten, welche die ideale Anpaarung für Ladykiller bildeten.
Sein Vererbungsschwerpunkt lag besonders im Springen, Dressurpferde sind selten. Trotzdem konnten sich zwei Söhne auch in dieser Disziplin als Vererber ins Licht setzen.
Als Muttervater erreicht er noch nicht die Bedeutung, die er als Hengstvater besitzt, aber er tritt jetzt recht oft als Vater der 2. Mutter in Erscheinung. Jedoch steht allgemein die Qualität seiner Töchter der seiner Söhne nicht nach.
Sein Hengstlinie ist die am stärksten verzweigte der modernen Holsteiner Zucht. Seine männlichen Nachkommen sind in der ganzen Welt gefragt und tragen so seinen Einfluß bis nach Südamerika.
Zur Zeit stellt sich die Frage welcher Hengst den Ausfall Landgrafs und Lord ausgleichen könnte, da sich leider noch kein Sohn dieser Hengste so stark profilieren konnte, daß er als ihr Nachfolger gelten könnte.
Nachdem der Oldenburger Ankauf des Furioso xx-Sohnes Vertuoso, in Deutschland auf Furioso II umgetauft, sich als durchschlagender Erfolg erwies, begann man in Holstein nach einem Hengst aus der gleichen Linie zu suchen, da die Zuchtsituation in Oldenburg durchaus mit der in Holstein verglichen werden konnte. Man entschied sich bei einer Frankreichreise dann für einen Rantzau xx-Sohn mit Furioso als Urgroßvater. Der Ankauf Cor de la Bryere’s stellte für die Züchter ein recht großes Problem dar, da er vom “ Erbfeind “ kam. Erst die Qualität seiner Nachkommen brachten ihm die Anerkennung ein, die er verdiente. Seine Bedeutung übersteigt wahrscheinlich noch die des Ladykiller’s, da erst unter seinem Einfluß der Holsteiner das Sportpferd wurde, wie wir es heute kennen.
Die Bedeutung Cor de la Bryere ist gleichstark in den Stutenstämmen und den Hengstlinien. Einige seiner Söhne haben selbst schon die Linie des Vaters weiter verzweigt und seine Töchter harmonisieren mit allen Hengsten der Zucht. Leider sind viele der Zucht wegen ihrer Rittigkeitkeit und ihres Springvermögens verloren gegangen.
Sein Leistungsverbung wird vom Springen dominiert, Dressurvererber gibt es weniger, wenn auch ein Europachampion, Corlandus, Corde zum Vater hat. Einzig Calypso I, Coriander und sein Vater Coriolan besitzen einen nennenswerten Einfluß in dieser Disziplin.
Nach diesen vorzüglichen Erfahrungen mit einem SF-Hengst körte der Verband einen weiteren Selle Français, Silbersee, an, der eine ähnliche Kombination wie Corde besitzt, jedoch in anderen Blutströmen. Genau wie Corde ist Hozeville, Silbersee’s franz. Name, ein Vollblutsohn, wenn auch sein Vater nicht von sich Reden machte. Jedoch ist seine Mutter eine Tochter des überragenden Muttervaters Quastor aus der Orange Peel xx-Linie. Darüberhinaus ist Quastor ein Dreiviertelbruder zu Almé, da seine Großmutter mütterlicherseits Almés Mutter ist. Die Zukunft gab dem Verband recht, denn Silbersee besitzt eine überragende Eigenleistung, denn er war Springpferd internationaler Klasse und mehrfacher Derbusieger. In der Zucht konnte Silbersee sich noch nicht mit Corde vergleichen. Seine Hengstlinie ist bedeutend kleiner, zudem starb sein bester Sohn, Silvester, der einen gewissen Einfluß auf die Holsteiner Zucht ausübte, in der Saison 1993. Viele Silberseetöchter sind zu Gunsten des Sportes der Zucht verloren gegangen.
Seit einigen Jahren rücken die Alménachkommen immer mehr ins Licht. Drei Söhne des SF-Ausnahmehengstes Almé waren oder sind in Holstein stationiert, jedoch ist nur einer holsteiner Blutführung : Ahorn. Die beiden anderen stammen aus Anpaarungen an Hannoveranerstuten. Besonders fällt unter ihnen Alcatraz, von Aloube-Almé, auf. Da Aldato auch in seinem Stammbaum auftritt, ist die Leistungsvererbung noch nicht polarisiert und kann sowohl zur Dressur als auch zum Springen hin tendieren. Auf der Zuchtebene hat dieser Hengst, obwohl noch nicht zehnjährig sich jedoch schon profiliert.
Die Vererbung der Alménachkomme ähnelt wahrscheinlich der ihres Vaters, welcher ein guter Hengstvater, aber ein noch besserer Sportpferdevater war. Auch die Töchter waren überdurchschnittlicher Qualität. Almé übertrifft bei weitem seinen Vater, Ibrahim, an Bedeutung für die SF-Zucht.